Emile Rupp, Entwicklungsgeschichte der Orgelbaukun

Emile Rupp über EFW

Prof. Emile Rupp, in „Entwicklungsgeschichte der Orgelbaukunst – 1929, Neue Männer – Eberhard Friedrich Walcker Seite 143-144“

Wir erblicken in Eberhard Friedrich Walcker nicht nur den überzeugten Vertreter des Voglerschen Systems, sondern — wie widerspruchsvoll es auch klingen mag — die Erweiterung dieses Systems zum monumentalen Stil im Orgelbau, und zwar durchaus parallel gehend mit seinem großen Zeitgenossen Aristide Cavaillé-Coll, wie ja überhaupt aufrichtige Freundschaft und segensreiche Wechselbeziehungen zwischen den beiden großen Meistern bestanden. Die Tendenz zum Monumentalen, im Anschluß an die geräuschvolle Instrumentation der Neuromantiker, vor allem Richard Wagners, ist ja zur Quelle großer orgelbautechnischer Mißverständnisse geworden, auch jener in den 1880er und 90er Jahren grassierenden Verirrungen des Klangsinns, genannt Grundtönigkeit und Hochdruck. Walcker wußte aber durch reiche Verwendung der Aliquotstimmen, 4'-Register und Rohrwerke sowie durch milde, musikalische Intonation bei verhältnismäßig niederem Winddruck die Klippe zu vermeiden, an der so viele seiner unmittelbaren Nachfolger, dem Druck verständnisloser »Sachverständiger« nachgebend, Schiffbruch gelitten haben. Namentlich hat sich Walcker nie zum Mißbrauch stark »charakterisierter« engmensurierter Streicher verleiten lassen; stets ordnete er diese Kategorie einem würdevollen, vornehmen Gesamtorgelton ein und hütete sich vor ihrem Dominieren unter den 8-Füßern. Seine Spielmechanik arbeitete wundervoll elastisch und geräuschfrei; in der Sauberkeit und Solidität der Mechanikteile standen seine Werke denen Cavaillé-Colls in nichts nach. Wie man aus der Fußnote ersieht, verwendete er bereits differenzierten Druck und eigene Regulatoren für jedes Klavier; es blieb dem »Fortschritt« der Fabrikorgel aus den 1890er Jahren vorbehalten, eine ganze Orgel von 60 kl. St. aus einem (!) Magazin zu versorgen! Der Verfasser hatte noch das Glück, einige der großen von Eberhard Friedrich Walcker erbauten
Werke in der Originalgestalt zu besichtigen und zu spielen: das wundervolle Material, die grundehrliche Arbeit und die prachtvolle mechanische Funktion in Verbindung mit der poetischen Intonation lassen die verhältnismäßig hohen Preise verstehen, die diesem Großmeister des deutschen Orgelbaues s. Zt. zugebilligt wurden.
Es bleibt noch ein Wort über Walckers Stellung zur Kegellade, eine Ladenkonstruktion, die durch des Meisters Einfluß während eines halben Jahrhunderts für den deutschen Orgelbau maßgebend werden sollte.
Die Kegellade ist in ihrem Prinzip der Einzelwindzuführung für jede Pfeife (auf dem ja sämtliche zur Zeit in Deutschland gebräuchlichen Ladensysteme beruhen) eine Umbildung der alten Springlade, nur daß an Stelle der Einzelregisterventile Einzelspielventile für jede Pfeife getreten sind. Die infolge zu kleiner Kanzellenabmessungen unzureichende Windernährung der großen und Stimmungsschwankungen der kleinen Pfeifen in der älteren Schleiforgel mögen Veranlassung zu Versuchen in der angegebenen Richtung und zum Durchdringen der Registerkanzelladen gewesen sein. Wichtiger erscheint uns indessen der Umstand, daß die Kegellade infolge ihrer, nur den unter Wind stehenden Spielventilen, entsprechenden leichteren Spielart und die Anlage von Gruppenzügen usw. ohne Zuhilfenahme pneumatischer Hilfsmittel ermöglichenden leichten Registrierung, also aus einem rein technischen Grunde, gegenüber der älteren zähen Spieltraktur bei der Schleiflade, Vorteile bot. Cavaillé-Coll ist einen ändern Weg gegangen und hat durch Übernahme der elegant-feingliedrigen englischen Spieltraktur sowie durch Zwei- und Dreiteilung der Schleiflade Resultate erreicht, die in ihrer Art noch heute ein unerreichtes Ideal darstellen. Walcker hingegen wollte auch kleinen und mittleren Instrumenten leichte Registrierbarkeit verschaffen, und wir haben in der Tat Walcker-Orgeln mit rein mechanischer Traktur bis zu 45 klingenden Stimmen noch angetroffen, deren Spielart nach den Begriffen einer gesunden, nicht klaviermäßig verweichlichten Orgeltechnik durchaus erfreulich war. Der famose Rollschweller freilich blieb bis zur Lösung der Registrierungsfrage durch Röhren- und Elektropneumatik ein schauderhaft unbehilfliches Ding, Immerhin überragten diese so sauber und solid gearbeiteten mechanischen Kegelladen-Instrumente die billigen Phantasieprodukte der röhrenpneumatischen Ära um ein Bedeutendes! Auf die akustisch-musikalischen Nachteile der Einzelton-Ventilladen gegenüber der alten Tonkanzellen-Schleif- oder Springlade einzugehen, wird sich im II., technischen Teile des vorliegenden Werkes Gelegenheit bieten.